10/30/2007

Symposium's Introduction

Introduction to the symposium
by Jean-Baptiste Joly
held on October 18, 2007

Meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie zum Auftakt unseres Symposiums »Das Handeln mit der Angst / Dealing with Fear« und heiße Sie alle herzlich willkommen; besonders herzlich begrüße ich den Vortragenden des heutigen Abends, Prof. Dr. Hans Ulrich Gumbrecht, der in seinem Festvortrag zur Eröffnung unseres Symposiums auf die Frage »Seit wann und warum fürchten wir uns vor der Zukunft?« eingehen wird. Begrüßen möchte ich auch den Juryvorsitzenden der Akademie Prof. Dr. Philip Ursprung, dem wir das Thema dieses Symposiums verdanken, die Juroren der Akademie, die mit ihrer Teilnahme an dieser Veranstaltung den Beginn eines neuen Stipendiatenjahrgangs begleiten, die Experten, die unserer Einladung gefolgt sind und morgen referieren werden, wie auch die Stipendiatinnen und Stipendiaten, die sich auf unser Thema eingelassen haben und über die Ergebnisse ihrer Arbeit unter dem Aspekt der Angst und des Umgangs mit der Angst sprechen werden.

Diese Veranstaltung ist Teil des Programms art, science & business der Akademie Schloss Solitude, das sich seit fünf Jahren vornimmt, den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Kunst zu fördern. An dieser Stelle möchte ich der Landesstiftung Baden-Württemberg, der Stiftung für Kunst und Kultur der LBBW und der Landeshauptstadt Stuttgart danken, die uns bei diesem schwierigen Unterfangen vertrauen und dieses Programm finanziell großzügig unterstützen.

Vor anderthalb Jahren saßen wir zusammen, Philip Ursprung und ich, in einem Züricher Restaurant und sprachen über die Personen, die er für die Solitude-Jury berufen wollte. Die Jurorinnen und Juroren, die nun den elften Jahrgang der Akademie ausgesucht haben, werden Sie morgen als Referentinnen und Referenten erleben können, einige der Stipendiaten, die sie ausgewählt haben, werden Sie am Samstag hören. Bei unserem Gespräch ging es hauptsächlich um die Frage, die als Leitfaden die Stipendiaten und Juroren der Akademie zwei Jahre lang beschäftigen würde. Mit der Idee einer Frage an Künstler und Wissenschaftler sieht sich die Akademie Schloss Solitude in der aufklärerischen Tradition der Akademien des 18. Jahrhunderts. Damit möchte sie Debatten auslösen, die sich nicht mit der unmittelbaren Beantwortung praktischer Fragen befassen, sondern einen Raum für Reflexionen schaffen, deren Ergebnisse weder unmittelbar effizient noch spektakulär sein wollen. Dieses Symposium zum Thema »Handeln mit der Angst« gibt den Auftakt für eine Reihe von Aktivitäten, die sich in den nächsten zwei Jahren im Haus ergeben werden. Ausgehend von den Erfahrungen dieser drei Tage bis Samstagabend können dann in naher Zukunft Teilaspekte vertieft, Besonderheiten interdisziplinär angegangen werden, können Gedanken ihre eigene Form in der einen oder der anderen Disziplin finden. Dieser Prozess ist neu und es ist uns damit auch klar, dass wir hier ein gewisses Risiko eingehen. Aber es ist der Preis, den wir für die gewonnenen Erkenntnisse und ästhetischen Erfahrungen bereit sind zu zahlen.

Im Gegensatz zur Furcht, die sich artikulieren kann, weil sie sich auf definierte Bedrohungen bezieht, versteht man in der deutschen Sprache unter Angst ein diffuses Gefühl des Bedrohtseins und des Verlorenseins. Das Phänomen der Angst betrachten Psychologen als ein vegetativ-animalisches Symptom, das Tiere und Menschen vor Gefahren warnt. Dieses Bedroht- und Verlorensein, das die Angst ausmacht, besteht im Gefühl der Gefährdung des eigenen Selbst. Aber dieses Gefühl der Angst kann sich nie ganz mitteilen. Pascal hat dieses Phänomen in dem berühmten Satz ausgedrückt: »Le silence éternel de ces espaces infinis m’effraie« (das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume erschrickt mich). Damit beschreibt er das Herumirren des Menschen in einer Welt, deren Gesetze er weder kennt noch versteht, solange er darin Gott nicht erkannt hat.

Angstsituationen oder -zustände entstehen deshalb, weil der Verängstigte nicht weiß, wovor er sich fürchten soll. Die Angst drückt in paradoxer Weise einerseits das Gefühl aus, dass da etwas ist, was einer wissen sollte und ihn bedroht; andererseits genügt diese Ahnung nicht, um sich dagegen zu wehren. Ks unaussprechbare Angst in Kafkas Prozess entsteht deshalb, weil er nicht weiß, welcher Prozess – oder gar ob überhaupt ein Prozess – gegen ihn geführt wird. Gelingt es dem Verängstigten, die Gefahr zu identifizieren, die ihn bedroht, so tritt die Furcht an die Stelle der Angst. Die Unterscheidung zwischen Angst und Furcht geht auf Kierkegaard zurück. Für ihn fallen Unwissenheit und Unschuld zusammen und produzieren nicht nur Frieden und Ruhe, sondern auch Angst. Im Gegensatz zur Angst kann die Furcht vor einer Bedrohung identifiziert werden, so dass dagegen entsprechend reagiert werden kann. Wer Angst empfindet, kann auch das fehlende Wissen über das, was da sein und ihn bedrohen könnte, durch Fantasiebilder ersetzen. Diese Bilder sind in der Regel, wie wir wissen, eher Schreckens- als Heilsvisionen. Das Schüren der Angst mit Bildern und Metaphern ist ein beliebtes Spiel der Literatur und des Films, auch der Medien übrigens.

Mit diesen wenigen Sätzen zur Frage der Angst möchte ich weniger eine Definition geben als vielmehr die Felder skizzieren, innerhalb derer sich die Teilnehmer dieses Symposiums in den nächsten zwei Tagen bewegen werden: Ob die Wahrnehmung von Risiken einer begründbaren Realität entspricht oder ob sie nicht viel eher ihre eigenen Realitäten schafft, dieses ist die Frage, auf die Prof. Dr. Ortwin Renn von der Universität Stuttgart eingehen wird. Wie kann man rational mit Bedrohungen umgehen und sie als Risiken quantifizieren, steht als Frage im Mittelpunkt der Aktivitäten einer Versicherungsgesellschaft wie der Swiss Re, deren Vertreter Dr. David N. Bresch morgen sprechen wird. Angstmomente prägen sich besonders in das Gedächtnis und drängen ins Unterbewusste, möglicherweise lässt sich das vegetativ-animalische Phänomen der Angst genetisch bedingen, so die These von Prof. Dr. Vadim Bolshakov, der morgen Nachmittag über die jüngsten Erkenntnisse der Genforschung berichten wird. Ferner: Wie werden Angstphänomene in Architektur, Film, Kunst, Design und Theater wahrgenommen, verhindert oder ausgelöst oder verstärkt? Wie nehmen sie Bezug auf die Realität, die uns umgibt? An Beispielen aus den verschiedenen Künsten, der Geschichte, der Politik und den Wissenschaften werden die Teilnehmer des Symposiums am Freitag und am Samstag in englischer Sprache referieren und diskutieren.

Heute Abend geht es mit dem Vortrag von Hans Ulrich Gumbrecht weniger um Ursachen, Bedingungen oder Mechanismen der Angst als um die Veränderung unserer Auffassung von Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg. In der westlichen Welt wirkt sich diese veränderte Zeitauffassung drastisch auf die Vorstellung der Zukunft aus: Der Forstschrittsglaube, der Drang nach Utopie und der Wille, die Welt zu verändern und in Besitz zu nehmen, haben in der westlichen Kultur stark nachgelassen. Was übrig geblieben ist, ist eine unaussprechbare Angst vor einer Zukunft, die nur katastrophal sein kann. Mit diesem Vortrag über die Frage der Zeitlichkeit knüpft Hans Ulrich Gumbrecht an die Reihe von Symposien an, die die Akademie in den neunziger Jahren mit der Universität Stuttgart (IZKT, Prof. Dr. Gerhart Schröder) und dem Collège international de philosophie in Paris über die Metamorphosen der Zeit am Anfang der Moderne durchgeführt hat.

Hans Ulrich Gumbrecht ist sicherlich einer der meist zitierten und berühmtesten Literaturwissenschaftler unserer Zeit, Autor zahlreicher Publikationen zur Geschichte der französischen, der spanischen und der italienischen Literaturen vom Mittelalter bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zu seinen Publikationen gehören Standardwerke für das Literaturstudium, fachspezifische Werke über die Literatur und das Theater des Mittelalters wie auch Bestseller (»Die Macht der Philologie«, 2003). Zu den Publikationen, die sich auf die Frage von Zeitkonstruktionen beziehen, zählen u. a.: »In 1926. Living on the Edge of Time« (1997), »Production of Presence« (2004). Hans Ulrich Gumbrecht ist Professor für Literatur an der Stanford University, Professeur Associé an der Université de Montreal in Kanada, Directeur associé an der EHESS in Paris, Professeur attaché au Collège de France (für mich als Franzose bleibt dies das Mekka des Denkens ...), ebenfalls in Paris. Herr Prof. Gumbrecht, es ist uns eine große Freude und auch eine Ehre, Sie als Vortragenden heute Abend in der Akademie Schloss Solitude hören zu dürfen. Sie haben das Wort.

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